Tagung des BLV – Selbstwirksamkeit im Buch … und im Leben
VIELFALT GESTALTEN – LESEFÖRDERUNG ZUR STÄRKUNG DER SELBSTWIRKSAMKEIT
Dies war der Titel der ersten Fachtagung des Bundesverbandes Leseförderung, die am 4.Mai 2017 in Mainz stattfand.
Selbstwirksamkeit ist ein Fachbegriff aus der Pädagogik. Er bedeutet das Selbstvertrauen, auch schwierige Situationen mit Hilfe der eigenen Fähigkeiten zu bewältigen. Und auf dieser ersten Fachtagung wurde schnell klar, dass sich die Notwendigkeit, Selbstwirksamkeit zu entwickeln, auch auf die Teilnehmenden bezog… doch dazu später mehr.
Wohlfühl-Stimmung: Kick-Off mit Leseweltmeister Stefan Gemmel
Auf seine gewohnt unterhaltsame Art stimmt uns Autor Stefan Gemmel auf die Leseförderung ein. Seine Deutschlehrerin hatte für ihn und seine Mitschüler mit Intuition, persönlichem Engagement und viel Leidenschaft die passenden Bücher heraus gesucht, um sie für das Medium zu begeistern. So brachte ein einziger Mensch den selbsternannten „Büchermuffel“ auf seinen Weg zum Autor.
Anschließen gab mir Stefan Gemmel auch noch ein wunderbares Zitat für mein Lesebegeisterungs-Projekt:
„Lesebegeisterung ist für mich, wenn die Hauptperson eines Buches zu einem meiner besten Freunde wird.“
Der Vortrag war Wind in den Segeln der Teilnehmenden. Fühlten sich doch alle bestätigt, dass sie, auch wenn sie sich oft als Einzelkämpfer fühlten, etwas bewegen können. Eine gute Grundlage, für das, was folgte.
Blick über den Tellerrand – Kirsten Boie berichtet über Ihre Arbeit in Swasiland
Wenn die sozial engagierte Kirsten Boie Preisgelder gewinnt, möchte sie dieses Glück teilen, und so kam sie dazu, mit ihrem Mann die Möwenweg Stiftung zu gründen, die sich unter anderem für Waisen in Swasiland einsetzt. Und so berichtete sie in ihrem höchst interessanten Vortrag über ihre Versuche, Leseförderung in Swasiland voranzutreiben.
In Afrika gibt es bisher sehr wenig Bücher für Kinder. Dass Kinder zum Vergnügen lesen, oder vorgelesen bekommen, erscheint vielen Menschen dort unsinnig. Lesen dient vor allem der Bildung. Hinzu kommt eine Vielzahl an Sprachen, so dass die Übersetzung und der Druck kleiner Auflagen für bestimmte Gebiete, sowie der Vertrieb, aufwendig und kostspielig sind.
Für mich persönlich wurde an diesem Vortrag deutlich, wie regional begrenzt und subjektiv unsere Vorstellungen, Erwartungen und Ideale der Leseförderung sind. Und in welchem Luxus, bezogen auf die Verfügbarkeit guter und vielfältiger Literatur, wir hier leben. Wir stöhnen eher auf, weil wir nicht wissen, wie wir aus der Vielfalt der Bücher auswählen sollen. Und was ich auch mitnehme – Immer wieder ertappe ich mich dabei, wie ich in meiner Begeisterung andere wie eine Dampfwalze überfahre, ohne genau hineinzuschauen und zu spüren- Was passt denn hier? Was brauchen diese Menschen eigentlich? Passt das?
Für mich war es übrigens ein besonderes Erlebnis, Kirsten Boie persönlich zu treffen, ich bin ein großer Fan! Beim Mittagessen erzählte sie später noch mehr über ihre Arbeit in der Stiftung. Und ich durfte auch ein Foto mit meinem Lesebegeisterungsbotschafter machen, später wird sie mir ein Zitat dazu schicken.
Was uns bewegt – Podiumsdiskusion
In der anschließenden Podiumsdiskussion mit Stefan Gemmel, Kirsten Boie, Manueal Hantschel (stellvertr. Vorsitzende des BLV), Heike Schütz (Leiterin der Akademie für Ganztagsschulpädagogik) sowie Gisela Eisert (Bibliothekarin) war es interessant zu beobachten, wie sich das Gespräch entwickelte. Denn als die Moderatorin bemerkte, dass es auch ehrenamtliche Leseförderinnen gäbe, bei denen das Engagement zwar gut gemeint aber eher schlecht umgesetzt wäre, ging ein Raunen durch die Teilnehmenden, unter denen sehr viele Ehrenamtlerinnen waren.
So wurde schnell klar, dass alle Beteiligten sich zwar darüber einig waren, wie wichtig Leseförderung war, denn deswegen waren sie ja alle da, aber wie und wer und wo- das war die Frage. Und immer lauter wurde dabei, auch unter dem Publikum die Forderung, dass politisch etwas getan werden müsse, um die Bedeutung der Literaturpädagogik voran zu treiben, gesetzlich zu verankern und ordentlich zu bezahlen, und nicht die ganze Arbeit den Ehrenamtlern zuzuschieben.
Auch eine Aufgabe der Bildungs-Länderhoheit stand im Raum – Förderer aus verschiedenen Regionen und Bundesländern stellten ihre Programme vor, z.B. „Jedem Kind seine Kunst, aus Rheinland-Pfalz. Unter anderen Teilnehmern, in deren Regionen es keine oder kaum Förderung gab, sah man daraufhin lange Gesichter.
Wie kann ein Bundesverband, der Ehrenamtler, Professionelle Freiberufler und Institutionen aus unterschiedlichen Bundesländern unter einen Hut bringt, unter diesen Voraussetzungen die Leseförderung vorantreiben? Wie kann man insbesondere die Interessen von Ehrenamtlern und bezahlte Kräften vereinbaren?
Mit diesen spannenden Fragen ging es erst einmal in die Mittagspause, um sich dann am Nachmittag in die praktischen Workshops zu stürzen.
Selbstwirksamkeit im Buch und im Leben – Die Workshops
Vier Themen standen auf dem Programm, von dem jeder Teilnehmer zwei besuchen konnte:
Stärkung der Selbstwirksamkeit im Kinder- und Jugendbuch – Birgit Mehrmann
Fundraising – Christiane Steinmetz
Pressearbeit – Christiane Franke
Urheberrecht in der Öffentlichkeitsarbeit – Christian Korte
Nur ein Workshop beschäftigte sich also mit der Praxis „am Kind“, und das nicht ohne Grund: Viele der Teilnehmenden, ob in Netzwerken, als Einzelperson oder in Institutionen berichteten vom täglichem Kampf andere von der Wichtigkeit ihrer Arbeit überzeugen, um Räume, Geld, Öffentlichkeit oder Unterstützung zu erhalten.
Ich besuchte den Fundraising Workshop und die Referentin gab zu, es ist immer einfacher, Menschen von emotionalen Themen zu begeistern (z.B. Kinder aus armen Verhältnissen) , also für Themen der Bildung zu werben.
Im praktischen Workshop ging es dafür aber sehr emotional zu. Die Referentin, gelernte Theaterpädagogin, stellte kompakt und praktisch ihre Arbeit mit Jugendlichen zum bewegenden Buch „Die Insel“ von Armin Greder vor. Sie präsentierte dazu auch Fotos von einem Workshop, auf dem die Jugendlichen mit Feuereifer dabei waren. Das war sehr beeindruckend. Viele der Teilnehmenden gaben zu, dass sie sich selber vor diesem Workshop so ein schwieriges Thema (Ausgrenzung, Flucht, Fremdenhass) nicht zu getraut hätten und fühlten sich nun ermutigt.
Fazit: Selbstwirksamkeit der Lesefördernden
Was hatten wir an diesem Tag nun gelernt über die Leseförderung zur Stärkung der Selbstwirksamkeit? In meinem Fall, dass Leseförderung auch die Selbstwirksamkeit der Fördernden steigert. Das Selbstbewusstsein, auch schwierige Situationen zu meistern, muss man als Leseförderer mitbringen und ausbauen.
Immer wieder trifft man auf Verbündete, andere Begeisterte, die verstehen, wofür man sich so brennend einsetzt, und erfährt positive Resonanz nicht nur von Kindern und Jugendlichen sondern auch von Eltern und Lehrern.
ABER – man trifft eben auch auf Widerstände. KiTas und Schulen mit überfüllte Zeitplänen, denen jede zusätzliche Veranstaltung zur Last wird. Menschen, die nicht verstehen, warum man für seine Arbeit Geld nehmen muss.
Die Arbeit der Lesefördernden muss daher auch in den Köpfen unserer Gesellschaft anfangen. Aber auch untereinander müssen wir, egal ob Ehrenamtler oder ausgebildete Fachkraft, erkennen, dass wir nur gemeinsam stark werden können.
Bei so einer einer Tagung können nämlich auch Welten aufeinander prallen. Fördernde, für die „richtige“ Literatur nur ein gedruckter Klassiker darstellt, und solche, die mit dem Einsatz von Emojis bei der Freude am Erzählen und Geschichten an sich ansetzen.
Der Bundesverband für Leseförderung ist darum auch ein wichtiges Mittel, um uns Lesebegeisterte zu vernetzen und auch die Diskussion untereinander anzuregen, damit die Leseförderung insgesamt profitieren kann.
Ich freue mich sehr auf weiteren Austausch und folgende Fachtagungen!
Wenn Ihr auf für die Leseförderung brennt , tretet dem BLV bei!
Damit wir alle sichtbarer werden und unsere Arbeit ausbauen können!!!
Übrigens- eine Fachtagung 2018 ist schon in Planung, ich freue mich drauf!
Vielen Dank für den lebendigen Bericht. Gab die Moderatorin ein Beispiel für schlecht gemachtes Engagement?
Ich denke, der Knackpunkt an der Leseförderung ist die Professionalisierung, die als tragendes Gerüst absolut notwendig ist. Zu gerne werden solche sozialen, weichen Themen auf die Schultern der Ehrenamtlichen ausgelagert oder als ehrende Zusatzaufgabe bei anderen Berufen (Bibliothekare beispielsweise).Damit spart man sich viel Geld, was der Krux ist. Denn gute Leseförderung muß bezahlt werden, damit sie professionell geschieht. Dies schließt im Unkehrschluß ehrenamtliches Engagement nicht aus. Jedoch sollte dieses ergänzend sein, nicht die Hauptlast tragen.